Erich Auer - Laudatio zur Verleihung des Seerosenpreises 2014
Erich Auer erhält den Seerosenpreis der Landeshauptstadt München für sein Lebenswerk. Dieses umfasst zunächst die Gesamtheit seiner Kunstwerke, von denen Ihnen der Künstler eine Auswahl aus fünf Jahrzehnten hier im Kunstpavillon präsentiert, dann seine sonstigen der Kunst verpflichteten Aktivitäten, über die nur kurz berichtet werden kann. Hinzu kommt die Bewältigung der oft widrigen Lebensumstände, denen Erich Auer seine künstlerische Arbeit abgetrotzt hat.
Erich Auer wurde 1936 in München geboren. Nach einer Lehre als Chemigraf oder Cliché - Ätzer, einem Beruf, der besonderes Talent für präzise Zeichnungen voraussetzte, und privatem Malunterricht, studierte Erich Auer von 1960 -1966 Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste München bei Jean Deyrolle, einem in den 50er und 60er Jahren bekannten Vertreter der abstrakt-geometrischen Schule. Deyrolle hat lange in Marokko gelebt und dort auch landschaftliche Strukturen gemalt. Das Bild „Paysage“ entstand 1963 wohl unter dem Einfluss dieses gelegentlich als poetische Abstraktion bezeichneten Stils der Landschaftsbilder seines Lehrers.
Nur drei Jahre später, 1966, am Ende seiner Akademiezeit, malt Erich Auer schon ganz anders: Geometrische Formen, intensive Farben, komplexe Strukturen - in dem treffend „Kombinationen“ betitelten Bild gelingt ihm das Austarieren zahlreicher gegensätzlicher Elemente.
1975 gründet Erich Auer mit Künstlerkollegen das bis 1990 bestehende „Werkstudio“, Auftakt zu gemeinsamen Kunstaktionen, eine Ausdrucksform, die ihn u.a. auch nach Berlin und Chemnitz, die damalige Karl-Marx-Stadt, führte. Denn bereits vor der Wende entwickelte Erich Auer intensive Kontakte zu Künstlern aus Dresden, Leipzig, Zwickau und aus Ungarn und Lettland. 1995 war er einer der vier Münchner Künstler, die in Paris eine Hommage für den bereits 1967 verstorbenen Jean Deyrolle gestalteten.
In diesen Jahren tritt die konkrete Planung der Gestaltungsvorhaben immer mehr zugunsten des gestalterischen Prozesses in der Ausführung zurück.
Zwar hat Erich Auer eine Bildidee und entscheidet sich für eine malerische oder grafische Umsetzung oder zunehmend auch für Collagen, aber im Arbeitsprozess überlässt er sich einer dem Fortgang der Arbeit entsprechenden Mischung aus impulsiver Handlung und rationaler Kontrolle.
So entstehen in meist großen Formaten homogen und flächig wirkende Farbfelder, die sich aus der Nähe betrachtet in kleine Farbflecke und aus kurzen Strichen entwickelte Liniengefüge auflösen.
Diesem Entstehungsprozess verdanken manche Bilder von Erich Auer die scheinbar widersprüchliche Wirkung der Ausgewogenheit als Ganzem und der unruhigen Energie der Detailstrukturen. Denn wenn er nicht mehrschichtig mit Übermalungen oder Collagen arbeitet, bleibt in seinen Acrylbildern und besonders in den Zeichnungen jeder kontrolliert gesetzte, jeder spontane, manchmal auch weniger gelungene Pinselstrich oder Haken mit dem Zeichenstift dokumentiert. Solche gelegentlichen handwerklichen Unvollkommenheiten sind Teil seiner Arbeitsweise. Aber weil der malende oder zeichnende Künstler Auer nicht ausschließlich als Ausführender des planenden Künstlers Auer handelt, entstehen sehr lebendige, komplexe und spannungsreiche Binnenstrukturen.
In allen Werkgruppen stehen dem großflächigen und farbintensiven, in den Raum drängenden Gestus mancher seiner Bilder farblich reduzierte oder schwarz–weiße, fast meditative Zeichnungen gegenüber. Erich Auer interpretiert dies selbst als eine extrovertierte, expressive und eine eher introvertierte Seite seiner Kunst.
Exemplarisch gilt dies für das Objekt, das hier über Eck hängt. Es wirkt farblich und formal als Ganzes homogen, besteht aber aus 144 Karten im Format 15 x 15 cm und 10 x 15 cm, aufgeklebt auf drei miteinander beweglich verbundenen Kästen aus festem Karton. Gezeichnet hat sie der Taxi fahrende Künstler in den zahllosen Wartezeiten seines jahrzehntelangen Brotberufs. Keines dieser Kartenbilder gleicht einem anderen, jedes hat eine andere Struktur, ein eigenständiges, in sich stimmiges Muster. Zu dieser Werkgruppe gehören mehrere Meter messende Rollen und Mauern, auch gewundene, in sich verschachtelte, an moderne Architektur erinnernde Objekte. Weit über 1000 gezeichnete Karten hat Erich Auer für seine Objekte verbaut und so Leerstellen seiner materiell notwendigen kunstfernen Arbeit seiner Kunst verbunden und nutzbar gemacht.
Grundsätzlich nimmt sich Erich Auer selbst als abstrakter Künstler wahr – abstrakt im Sinne einer gegenstandslosen Kunst und als Ergebnis der Loslösung von realen Bezügen, die im bereits erwähnten Bild „Paysage“ noch enthalten sind. Entsprechend nennt er spätere Arbeiten „Variationen“, wie alle der hier gezeigten Zeichnungen und Acrylbilder im Format 100x75 cm, oder „Rot“, „Gelb“, „Blau“, wie die drei dominanten Acrylbilder. Nur gelegentlich, wie bei der großen „Blues“ genannten Collage, kommt, wie bei manchen Verfechtern strenger Sachlichkeit, über den poetischen Titel ein Gefühl ins Spiel, die Erinnerung an Erlebtes oder gar Existierendes.
Das wiederum lehnt die Konkrete Kunst, der Erich Auer auch zugeordnet wird, ausdrücklich ab. Die geforderten „mathematisch – geometrischen Grundlagen“ sind bei ihm kaum Werk prägend und dass das Kunstwerk im Geiste vollständig konzipiert und gestaltet sein müsse, bevor es ausgeführt wird, entspricht nicht seinem betont handwerklichen Gestaltungsprozess. „Exakt“ und „anti-impressionistisch“, wie u.a. verlangt, sind Erich Auers Arbeiten auf ihre Art schon und die „Beschränkung auf einfachste Gestaltungsmittel“ trifft vor allem bei den späteren Arbeiten oft zu.
Nimmt man noch die Verwendung einfacher oder „armer“ Materialien wie Nesselgewebe, Kartonagen, Buntpapiere und die hier nicht ausgestellten Objekte aus Hanfschnüren oder handelsüblichen Drahtgeflechten hinzu, zeigen sich Verbindungen zur Arte Povera, wie sie der Künstler selbst sieht. Allerdings sind die Materialien als solche bei Erich Auer nur teilweise Träger der künstlerischen Aussage. Ihre Verwendung ist wohl auch dem immer präsenten Geldmangel geschuldet.
Es stellt sich also abschließend die Frage: Ist Erich Auer ein abstrakter oder konkreter Künstler oder eher der Arte Povera verbunden? Die Antwort könnte lauten: Ja und nein. Und die Gegenfrage: Ist diese Zuordnung wichtig?
Erich Auer hat sich zu einem eigenständigen, unverwechselbaren Künstler entwickelt. Er hat wie alle Künstler Anregungen aufgenommen und daraus mit Kreativität, Leidenschaft und vor allem Ausdauer sein Werk geformt. Deshalb wird Erich Auer für sein Lebenswerk geehrt und für ein Leben nicht von, aber für die Kunst. Der Künstler und sein Werk haben hohe Anerkennung und Respekt verdient.
Ortfried Engler